REPRESENT M!

Strategien der Repräsentation von Minderheiten im öffentlichen Raum – Konzeptvorschlag für das Kulturreferat der Stadt München

Projektidee:

Wenn man die Realität der multiethnischen, multikulturellen Stadt des 21. Jahrhunderts akzeptiert, dann stellt sich schnell die Frage, nach dem Verhältnis der Mehrheitsgesellschaft zu ihren Minderheiten. Macht man die Wirklichkeit der Verschiedenheit zu seinem gesellschaftlichen Leitbild, geht es darum, die Verschiedenheit (Diversity) der einzelnen Gruppen zu organisieren und in eine Praxis der gleichberechtigten Repräsentation im öffentlichen Raum zu überführen. Die aktuelle Praxis der Repräsentation von Minderheiten (geglückt, gescheitert, geplant) zeigt jedoch, dass der öffentliche Raum eher von einem Scheitern geprägt ist. Das Projekt „Represent M!“ will an konkreten Beispielen in München Modelle und Regeln entwickeln, wie man die unzulängliche räumliche und architektonische Repräsentation von Minderheiten im öffentlichen Raum in einen dynamischen Prozess überführen kann. Im Zentrum der Arbeit steht die Inszenierung von Begegnung und Teilhabe auf verschiedenen diskursiven und gestalterischen Ebenen. Die besonderen Freiräume eines Kunstprojektes sollen hierbei strategisch genutzt werden, um verschiedene, im Alltag meist nicht miteinander kommunizierende Akteure („Raumproduzenten“) in einen ergebnisoffenen, diskursiven Prozess einzubinden der sich dem Risiko einer offenen Konfliktbenennung nicht durch vorrauseilendes Harmoniebestreben entzieht.

Das Programm „Fördermodelle für Kunst im öffentlichen Raum“ kann einen solchen Prozess der „riskanten Debatten“ über neue Strategien der Repräsentation initiieren, begleiten und in Form von Interventionen im öffentlichen Raum testen. Hierbei gehen wir von einem erweiterten Verständnis von öffentlichem Raum aus. Die Fragen der Repräsentation werden verhandelt, und somit sichtbar und erfahrbar nicht nur im Stadtraum, sondern auch auf öffentlichen Bühnen, im Internet, in veröffentlichten Privaträumen und in verschiedenen Medien. Dadurch ergibt sich ein komplexes und transparentes Netz aus gut zugänglichen Informationsvergaben und diversen Teilhabemöglichkeiten.

Realisierung:

Die Umsetzung von „Represent M“ erfolgt selbst als ergebnisoffener Prozess. Nach einer eingehenden Voruntersuchung werden 3-5 Interventionsorte in München ausgewählt in denen die Repräsentation von Minderheiten im öffentlichen Raum problematisiert werden kann. In einem zweiten Schritt folgt die Anwendung unterschiedlicher künstlerischer Interventionsstrategien die den Status Quo des Ortes (problematische, bzw. gescheiterte Repräsentation) bewusst verändern und somit einen Konflikt/ Spannung verursachen der einen Bearbeitungsprozess nach sich zieht. Folgende Strategien sollen einzeln oder in verschiedenen Kombinationen an den ausgewählten Orten angewendet werden:

  • Raumintervention

Durch eine physische Intervention (Schaffung eines nutzbaren Raumes, Verfremdung eines bestehenden oder Öffnung eines bisher nicht nutzbaren Raumes wird ein Diskussionsprozess gezielt provoziert. Die Nutzung der neuen Raumkonstellation wird zu einem Kristallisationspunkt für eine öffentliche Debatte.)

  • Nutzungsregeln aufstellen

Bestehende Nutzungsregeln für Räume werden gezielt verändert bzw. neu aufgestellt mit dem Ziel diverse Akteursgruppen zu aktivieren und miteinander zu konfrontieren.

  • Akteure Aktivieren

Verschiedene dominierende und/ oder ausgegrenzte Akteursgruppen werden gezielt angesprochen und in den weiteren Bearbeitungsprozess aktiv involviert.

Die Initialinterventionen lösen ergebnisoffene Prozesse in denen neue Visionen und Utopien für die Repräsentation von Minderheiten verhandelt und getestet werden.

Prozessrepräsentation:

Das Projekt selbst ist ein Prozess der durch vielfältige Formate im Verlauf repräsentiert wird und somit eine breite öffentliche Teilnahme unter anderem auch von städtischen Behörden, Vereinen und Initiativen ermöglicht. Zu den Repräsentationsmedien zählen Interventionen im öffentlichen Raum, Webforum, Video und Tondokumentationen und verschiedene Medien (Print, Radio, Online). Der gesamte Prozess wird durch eine Debattenmaschine als mobiles interaktives Archiv begleitet. Eine umfassende Dokumentation (Print, Online) am Projektende ist ebenfalls vorgesehen.

Mögliche Interventionsorte in München:

1.) Sinti-Roma Platz, 80339 München, Schwanthaler Höhe

Der Sinti-Roma-Platz präsentiert sich als Weg mit einem dazugehörigen Grünstreifen und einigen Bäumen. Er liegt als „blinder Fleck“ zwischen der neuen Wohnbebauung und Bavariapark und dient in erster Linie als Hundeklo. Es gibt keine Anwohner oder Firmen mit der Adresse „Sinti-Roma-Platz“. Die Adresse gibt es nur auf dem Stadtplan. 2007 gab es im Rahmen der Stadtteiltage Westend den Versuch, den Platz durch ein Kunstwerk aufzuwerten. Die Beteiligten sind jedoch an der dauerhaften Einrichtung des Mahnmals gescheitert. Bau- und nutzungsrechtliche Bestimmungen machten die dauerhafte Präsenz des Kunstwerks unmöglich. Über Qualität und Angemessenheit des damaligen Versuchs ließe sich streiten. Man kann die Einrichtung des Platzes als gut gemeinten, aber gescheiterten Versuch der Repräsentation einer Minderheit im öffentlichen Raum bezeichnen. Zwischen Gedenk-Ort und blindem Fleck wird hier auf unbeholfene und unfreiwillig zynische Art einer Minderheit gedacht, die weit über 500 000 Opfer während des Nationalsozialismus zu beklagen hat, deren Akzeptanz zudem in der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor nicht besonders hoch ist. Die Ausgrenzung setzt sich also in der Benennung des öffentlichen Raumes fort.

Mögliches Vorgehen: Der Sinti-Roma-Platz wird zum Anlass eine „riskante Debatte“ über die selbstbestimmte Repräsentation dieser Minderheit in München zu führen. Kann die zur Zeit von der Mehrheit bestimmte Repräsentation der Teilhabe übergeben werden? Entstehen dadurch Nutzungsvorschläge, Erinnerungskonzepte, ein Denkmal, getragen von Münchner Sinti und Roma? Der Sinti-Roma-Platz soll der Anlass für einen offenen Prozess der Repräsentationsteilhabe werden. Ob er Ort der Präsentation dieses Prozesses wird, bleibt offen.

2.) Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber, Baierbrunner Straße, Sendling

Dieser Ort dient als Beispiel für die Repräsentation von Flüchtlingen und Asylbewerbern im öffentlichen Raum. Warum sind Flüchtlinge in München/Bayern generell in Industriegebieten und anderen unwohnlichen Gegenden untergebracht? Welches Kalkül der Entscheidungsträger steckt hinter dieser Politik? Muss das so sein? Wie könnte man die Anwesenheit von Flüchtlingen und speziell Asylbewerbern durch eine andere Gestaltung der ihnen gewidmeten Architektur und des öffentlichen Raumes, mit neuer, positiver Bedeutung aufladen? Ist das politisch gewollt? Wenn nein, warum nicht? Welchen Beitrag könnte Kunst im öffentlichen Raum dazu leisten, die Repräsentation dieser Minderheit aufzuwerten? Durch Debatte? Durch Schaffen von Öffentlichkeit? Durch das Kreieren neuer Bilder? Durch die Inszenierung von Begegnung?

Mögliches Vorgehen: Die unzulängliche und ausgrenzende räumliche „Behandlung und Lagerung“ der Asylbewerber wird zum Anlass einer Raumintervention, die alternative Bilder des Wartens auf die Aufnahme in eine neue Gesellschaft liefert. In Kooperation mit Flüchtlingen und anderen Akteuren könnte eine Architektur oder eine Gestaltung des öffentlichen Raumes entstehen, die vom Verständnis zeugt, dass Asylbewerber in der Zeit des Wartens auf Aufnahme oder Ablehnung ihres Antrages tatsächlich hier leben.

3.) Geplanter Bau des Zentrum für Islam in Europa – München (Ziem), Innenstadt

Von islamischer Seite gibt es den Plan ein Neues Islamisches Zentrum mit Moschee und Akademie in der Münchner Innenstadt zu errichten: Wie schon anlässlich des gescheiterten Neubaus der Moschee in Sendling, werden sich auch an diesem, von weiten Teilen der Politik unterstützten, Plan wieder all die Diskussionen entzünden, die die Repräsentation des Islam und seiner Institutionen im öffentlichen Raum problematisieren. Letztlich steckt hinter diesen Debatten die Frage nach der Deutungshoheit über den öffentlichen Raum und das damit zusammenhängende kulturelle Selbstverständnis der Stadtgesellschaft. Kann man diese Debatte durch Inszenierung von Begegnung katalysieren? Oder muss man die Debatte verschärfen und umlenken, um somit einen weiterführenden Diskurs anzuregen?

Mögliches Vorgehen: Der frei flottierenden Debatte um die Entstehung von repräsentativen Gebäuden islamischer Religionsgemeinschaften, die an jedem projektierten Standort neu aufzuflammen scheint, könnte die mobile Debattenmaschine folgen und verschiedene Standorte testen. Das könnte helfen die einzelnen NIMBY (not in my backyard)-Debatten auf eine Diskursebene zu heben, die sich mit der Realität der multiethnischen Stadt auseinandersetzt, mit dem Ziel Vielfalt zu gestalten statt abzuwehren.

4.) The Seven – Müllerstraße 7

Hier geht es um die Repräsentation einer ganz anderen Minderheit. In dem Wohnprojekt The Seven in der Müllerstraße entstehen high end Wohnungen für Superreiche. Das Projekt hat großen Symbolwert für die Stadt. Hoch, kräftig und sichtbar wird dieser Luxusturm mitten in dem ehemaligen Münchner Szeneviertel errichtet. Das ist das manifeste Ende des Gärtnerplatzviertels als ehemals alternativer, zentrumsnaher Wohn- und Lebensraum. Ist diese machtvolle Repräsentation von den Nutzern überhaupt gewünscht? Soll Exklusion das Signal sein? Inklusion? Keins von beidem? Wie kann man Verbindungen zur Nachbarschaft herstellen? Ist das Projekt eine Gefahr für den sozialen Frieden?

Mögliches Vorgehen: Der immobilienwirtschaftlichen Logik folgend sind architektonische Repräsentationen der Superreichen mit einem immer gleichen Satz an Nutzungsregeln ausgestattet: Exklusion durch Doorman, Mauern, Sichtschutz, Turmbau, etc. Durch das Vorschlagen neuer Nutzungsregeln könnte diese Minderheit in einen kooperativen Prozess der Repräsentationsgestaltung und –modellentwicklung eingebunden werden, der die vorhandene Klischees durchbricht.

5.) Der leere Raum

Der Traum von der geglückten Repräsentation von Minderheiten im öffentlichen Raum.

Mögliches Vorgehen: Rauminstallation und Nutzungsregeln.

PROJEKTPARTNER
Club Real,

Urban Catalyst, Prof. Klaus Overmeyer,

Prof. Dr. Phillip Misselwitz, FG Internationale Urbanistik und Entwerfen, TU Berlin

und Björn Bicker

ZEITRAUM
Oktober 2011